Aus Berlin, 2011
Übersetzung/Traducción: Simone ReinhardDIE MAUER (Fragmentos)
Ich bin zum Frisör gegangen
um dem Scherenklappern zu lauschen
Zwei weiche, von lauwarmem Wasser
umspülte Hände zu spüren
Des guten Tons wegen mache ich es den anderen nach:
blättere in einer Modezeitschrift mit Prinzessinnen, die sich auf der anderen Seite der Erdkugel in Glitzerroben verlieren
Jetzt steht Er auf dieser Seite
während Sie im Westen bleibt
Obwohl ich akzeptieren muss, dass unsere Standorte austauschbar sind
Überspringst du heute eine Linie
Und es ist Meer oder Land Land oder Meer
Oder du strauchelst und fasst Fuß in beiden Orten
Und Süden und Norden werden zu einem einzigen Raum, dessen Geografie keine zwei Seelen wie Dich oder Mich beherbergen kann
Ohne unterzugehen
Hättest du auf mich gehört
Jede Grenze vernichtet, Meridian wie tückischen Äquator
Und alle Mauern und auch die erbärmlichen Schikanen an den Checkpoints zunichte gemacht
Kein Platz wäre gewesen für den Osten oder den Westen
Weder würden der Río Bravo noch die Wüste existieren
Doch was wurde aus Tarapacá und Arica?
Jetzt muss ich jedes Mal, wenn ich lande,
die grausige, nicht gerade wohltuende Frage beantworten
Warum bist du nach Peru zurückgekehrt?
Ich probe nichtssagende Antworten
(hier sieht’s doch so aus: give satisfaction to everyone
Wir zählen nicht
Das haben sie uns von klein auf beigebracht
in diesen anständigen peruanischen Familien, aus denen wir stammen)
Auch wir haben unsere Mini-Mauer in Peru
Der Abglanz von Limas Pracht ist an die Ränder
einer ungeahnten Welt verbannt
Eine Touristenreliquie am Fuße des Rímac nimmt schüchterne und stille Seelen
Wie Mich auf
Während Die Mauer (die echte)
unter dem bedrohlichen Blitzlichtgewitter rüstiger Kameras einstürzt
Bleibt von ihm nichts als die schmachvolle Erinnerung an die Verbannung
Und doch war unsere Kreativität damals fruchtbar
sich das Drüben vorzustellen war ein Zeichen von Glück
Und heute umgeben von Frisörutensilien
Verlegen über die Farbklumpen auf meinem Kopf
Konfrontiert mit Unbekannten
Höre ich die Kundinnen vom Wetter und den steigenden Preisen auf dem Markt reden
Zwischen Ihnen und Mir ist nur Schweigen.
^*^
Ela, Elle, Ella, She, Lei, Sie
(R. Lira)
An eine Welt der günstigen Möglichkeiten zu glauben
Schlagartig wird Sie im Raum der Unterdrückung
von Wesen umworben, die mit vermeintlichen „Schnäppchen“ auf sie zustürmen
Lauter Krimskrams, um die Leere ihres nicht besonders anziehenden Körpers
durch eine sofortige Transaktion in Kauf zu nehmen
Die Poesie ist heutzutage eine angenehme Begleiterin
Schmiedet Reime und prunkt in postindustriellen Küchen
Schon lange hat Sie den politischen Kampf aufgegeben und verkauft sich zwar
zu gemäßigten Preisen, doch nicht unter (ihrem) Wert
Die Wechselbeziehungen oder sexuellen Tauschgeschäfte hier
sind nicht zu unterschätzen und Sie beschließt die Reise durch die Welt der grauen Konten
mit einer einzigen Rate zu bezahlen
(Der reinste Adrenalinstoß)
Macht es einen Unterschied ob ein Mauerkünstler der Peripherie dich begehrt
oder ein Designer-Schlafsofa dich verschlingen rauben beherrschen soll?
In der versperrten Umkleidekabine kritzelt Sie ein Gedicht
Denkt an die Wandgemälde von EMC und die Gedichte von JRR und schreibt
“V war hier”
dann geht sie hinaus
um die Welt
- wie alle –
mit ihrer Begierde zu füllen
(Unverständlich ist mir, was es darüber hinaus geben soll
Außer Ihn und Sie, die im gleichen hygienischen Territorium des Supermarktes überleben)
^*^
Vater
Unausweichlich kehre ich zurück zum “Ich”
Ich Du Sie Wir Sie
Dabei würde ich gerne das Es betreten Und irgendwie besetzen
So wie viele diesen Raum besetzt haben
Die körperliche Distanz, mit der ich mir jede äußere Pein vom Leibe halten möchte
Anscheinend trennt mich ein ganzes Leben von JRR
Immerhin sind wir beide mehrfach von Norden nach Süden oder von Süden nach Norden gereist
wenn die Umstände und der Klimawechsel unserer Körper es zuließen
JRR ist der Surrealist in mir
Bald entwischt mir seine liebe Liebe bei Vollmond
In einem rasanten Taxi
Das jemand mit glühender Zündkerze auf dem Weg zum Flughafen zu Schrott fährt
Und vielleicht ist das ein Zeichen
Noch mal um die Welt zu fliegen
und frontal fotografiert zu werden
im Passformat
und wieder Anträge auszufüllen
Dieser ganze Alptraum, den wir manchmal frohlockend leben
Völlig unvermutet
fragt mich der Taxifahrer nach meiner Telefonnummer
Und ich verweigere sie ihm
aus Standesgründen
-Tut mir Leid
-Entschuldigung
Aber so wurde ich nun mal erzogen, und es gibt Dinge die ändern sich nicht
Und wieder bist du zurückgeworfen auf das finstere Haus deiner Kindheit
Auf dieses vom Wahnsinn und Alter brüchige Gemäuer
Alles was du irgendwann einmal erhaschen wolltest, hat sich verflüchtigt
Und diese von den Touristen so inbrünstig geküsste Mauer bricht gemächlich zusammen
unter dem sengenden Spiegel deiner Tränen
als du erfährst dass
“Juan Ramírez Ruiz
Begründer und Anführer der Dichtergruppe Hora Zero
tot und begraben unter dem Alias
NN liegt“
Dann schließt du die Augen und spielst wieder mit dem Ring an deinem Finger
während die Zeit vergeht, die dich vom Tod trennt
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